Dreizehn Monde - große amerikanische Literatur über den einzigen weißen Häuptling der Cherokee Für seinen Debutroman „Cold Mountain“ erhielt der amerikanische Autor Charles Frazier 1997 den National Book Award. Für die Verfilmung gab es mehrere Oscars. Mit dem Erscheinen seines zweiten Buches „Dreizehn Monde“ gut zehn Jahre später hat sich die Annahme bestätigt, dass Frazier große amerikanische Literatur schreibt. In seiner sprachgewaltigen Aufarbeitung der amerikanischen Geschichte des 19. Jahrhunderts – konkret die Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner im Bürgerkrieg – lässt Frazier den alten Mann Will aus seinem Leben erzählen. 1830 wird der zwölfjährige Waisenjunge von herzlosen Pflegeeltern in die Wildnis hinter den Appalachen verbannt. Ein nicht kartographiertes „Indianerland“, auf dem Will einen verlassenen Handelsposten wieder aufbauen soll. Auf seinem abenteuerlichen Weg nach Wayah „gewinnt“ er beim Kartenspiel ein Mädchen. Mehr als dass er die junge Frau, die ihm als Tochter seines Kontrahenten vorgestellt wird, kurz in seinem Mantel warm hält, geschieht nicht. Doch Will verfällt Claire mit Leib und Seele. Erst Jahre später wird sich eine intensive Liebesgeschichte anbahnen, im Laufe derer Will Dinge erfährt, die Claire zum unerreichbaren Objekt seiner ewigen Sehnsucht machen.
Weißer Häuptling der Cherokee
Während seiner einsamen Arbeit im Handelsposten schließt Will Kontakt mit seinen nächsten Nachbarn, den Cherokee. Er lernt ihre Sprache und verbringt die kalte Jahreszeit im Winterhaus des Häuptlings Bear, der ihn später als Sohn adoptiert. Wills Geschäftstüchtigkeit, die sich nicht zuletzt durch den Verkauf von Alkohol an die Ureinwohner begründet, schlägt sich im Erwerb zusätzlicher Handelsniederlassungen nieder. Als Bears Nachfolger wird Will der einzige weiße Häuptling Amerikas. Er bildet sich selbst als Anwalt aus und vertritt als Mitglied des Senats in Washington die Rechte der Cherokee.
Wildes, wertvolles Heimatland
Machtgierige Weiße vertreiben die Ureinwohner gewaltsam aus ihrer Heimat und versteigern ihr Land. Als Verantwortlicher über das Volk der Cherokee erwirbt Will riesige Landstriche an unwegsamen Gebirgsgegenden mit tiefen Klammen und schroffen Steilhängen, die Frazier in all ihren Farben, Formen, Gerüchen mit schlichten und eindringlichen Worten beschreibt. In Form von unübersichtlichen Darlehen und Schuldscheinen ist Will nun Eigentümer des Cherokee-Landes. Mit Chuzpe und Hartnäckigkeit versucht er von der Regierung in Washington für die „aus ihrer Heimat vertriebenen Cherokee“ eine Entschädigung von rund 50 Dollar pro Kopf rauszuschlagen.
Auf manche Entscheidungen, die Will im Laufe seines langen Lebens treffen muss, ist er nicht stolz. So bleibt ihm als weißer Cherokee-Häuptling und Politiker nicht erspart, sich aktiv am Bürgerkrieg zu beteiligen. Monatelang führt er seine Cherokee-Kämpfer in die Berge, um „Feinde“ aufzuspüren – in Wirklichkeit, um den Kampfhandlungen zu entgehen. Doch in einem der finstersten Augenblicke seines Lebens sieht er sich gezwungen, einen ganzen Indianerclan den weißen Besetzern auszuliefern, um seinen eigenen Clan zu retten.
Gut oder böse?
Den Krieg mit seinen „gloriosen“ Kampfhandlungen, die in die amerikanische Geschichte eingegangen sind, beschreibt Charles Frazier alias Will als brutales und stets armseliges Unterfangen. Aus zufällig stattfindenden Gemetzeln werden Heldenmythen kreiert. Die Rolle, die Will selbst darin spielt, ist ihm bewusst und er begegnet ihr mit Reue, aber auch Ironie und einer Portion Pragmatismus, der ihm sein eigenes Überleben und das seines Clans sichert.
Ein Thema, das sich durch den Roman zieht, ist die Unmöglichkeit der Unterscheidung von „gut“ oder „böse“. – Ebenso die Kategorisierung der Appalachen-Bewohner in verschiedene „Rassen“: Vermeintliche „Weiße“ werden als Zwölftelblut-Indianer erkannt und auf den Todesmarsch geschickt. Geächtete Schotten trinken gemeinsam mit Indianern in unerschlossenen Urwäldern Whiskey. Wohlhabende Cherokee halten sich afrikanische Sklaven für die Hausarbeit.
Am Ende wird Will von seiner Verantwortung über ein ganzes Volk erdrückt. Als Häuptling, Dorfbegründer, Geschäftsmann, Jurist und Politiker verfällt er dem dringenden Bedürfnis, „den Verlauf der Jahreszeiten zu beobachten“. Zu Pferd durchstreift er monatelang die menschenleere Wildnis oder reist durch gottverlassene Ortschaften mit Kampfplätzen, auf denen nur das blutige Sägemehl der Hahnen-, Hunde- und Männerkämpfe von Leben zeugt. Als auch noch Wills „rechte Hand“, Tallent, stirbt, entgleitet ihm alles, was seine finanzielle Existenz sichert.
Charles Frazier hat sich mit seiner Hauptperson Will an der Lebensgeschichte des einzigen weißen Häuptlings William Holland Thomas orientiert. Das autonome Gebiet der Cherokee-Nation hat bis heute Bestand.
Autorin: Mag.a Eva Tinsobin |