Psychoanalyse - die Freude an Freud Eveline List presst die lebendige Wissenschaft der Psychoanalyse zwischen zwei Buchdeckel und wartet mit einem erstaunlichen Faktenreichtum auf. Die Psychoanalyse mag auch jenen nicht so Literatur-Affinen zumindest im Zusammenhang mit dem Wiener Neurologen Sigmund Freud etwas sagen. Etwas sagen muss nicht einschließen, dass man viel über dieses Thema weiß. Keine Schande, denn Eveline List schafft Abhilfe. In ihrem neuen Fachbuch mit dem schlichten Titel Psychoanalyse widmet sich die Psychoanalytikerin und Historikerin aus Wien den zentralen Fragen der Enträtselung der menschlichen Seele. Die Geschichte der Psychoanalyse findet so auf 320 textreichen Seiten ebenso ihre Ausführung wie alle Theorien und Methoden rund um die von Freud 1890 begründete Tiefenpsychologie. Ideologie Psyche Einst bekämpft und verspottet hat sich Freuds Lehre über die Jahrhunderte hinweg fast schon zu einer Ideologie entwickelt. Das Verborgene im Menschen zu erforschen, zu analysieren und kategorisch einordnen zu wollen, lässt viele Menschen zur gleichen Zeit schaudern und staunen. Triebe, Affekte, Gier, Verdrängung, Neid, Narzissmus, Fetisch, Scham – diese Thematiken machen uns hellhörig, stoßen uns aber unterdessen ab, sobald wir vor Augen geführt bekommen, dass jene Grundelemente und Konzepte der Psychoanalyse nirgendwo sonst ihren Ursprung finden, als tief in uns. Nichts weniger als unsere Innenwelt mit all ihren abgründigen und nebulosen Facetten liefert Eveline List den Stoff für ein Buch, das anschaulich auf die sozialen und gesellschaftspolitischen Anwendungsgebiete der Psychoanalyse eingeht. Das Innerste äußern Nach einer knappen Einführung samt ebenso knapper Definitionsvorlagen zur Thematik – schau, schau, es geht auch ohne Terminusdschungel! – startet List ihren schriftlichen Seelenstriptease freilich nicht ohne löblicher Anerkennung an die Lebens- und Denkgeschichte ihres Landsmannes Sigmund Freud. Weiter im Takt erfährt der Leser, dass Freud und seine Kumpanen die Psychoanalyse an einem Mittwoch entstehen ließen, darf sich über die unbewussten Unterschiede zwischen Scham und Schuld, Gier und Neid aufklären lassen, lernt, dass sich Frauen in gesunder Weise über ihren Penisneid hinwegtrösten, indem sie sich einen Mann als Penisbesitzer und ein Kind als Penisersatz anschaffen, bevor man zur Erkenntnis gelangt, dass Freud das Metier der Erziehung zu den „unmöglichen Berufungen“ zählte, die seiner Meinung nach nur von „vollkommenen Menschen ausgeübt werden soll.“ Leicht verdaulich ist was anderes, aber wer in Hinblick auf Lists Psychoanalyse Schonkost erwartet, ist mit seichter Sommerliteratur besser bewandert. Massenpsychologie In der frühen Psychoanalyse übernahm die Umwelt des Individuums eine eher untergeordnete Rolle. Heutzutage scheint Freuds Schule kaum noch ohne die Analyse der Beziehungen, in die ein Mensch eingebettet ist, auszukommen. Entwicklungen und Reifungen werden immer mehr in der Wechselwirkung mit der Umwelt des Einzelnen beobachtet. Nicht von ungefähr widmet List in ihrem Buch daher ein ganzes Kapitel der psychoanalytischen Kultur- und Sozialpsychologie inklusive Kulturtheorie und Ansatz der Massenpsychologie. So kommt die Autorin zur uns unbewussten Erkenntnis, dass wir als Teil einer Gesellschaft innerhalb der Masse alle Verschiedenheiten und Konflikte verleugnen, um das Wir-Gefühl zu stärken und dieses durch Projektion auf äußere „Feinde“ zu lenken. Ein einfacher, sozialer Mechanismus, der – schwupdiwups – Vorurteile, Dünenböcke, rassistische, nationalistische und ähnliche paranoide Abwehrsysteme erzeugt. Na bravo, feine Seele. Fazit: Eveline Lists Psychoanalyse scheint auf den ersten Blick zwar trocken und harzig, den Grundstein dafür bringt allerdings wohl auch die theoretisch behaftete Thematik mit sich. Allerdings schafft es List, den anspruchsvollen Inhalt toll zu gliedern und bei konzentriertem Lesen auch verständlich darzustellen. Leserfreundliche Erklärungen und wirklich empfehlenswerte Querverweise zum Thema ermöglichen einen umfassenden Überblick über ein Themengebiet, das aufgrund seiner Vielfältigkeit und der Nähe zu uns selbst faszinieren kann. Autorin: Mag.a Tina Veit |