Der sechste Sinn - unser Autopilot „Lass Verstand und Vernunft walten“ – von wegen. Geht es nach der Forschung, ist neben dem Gehirn unser Bauch das entscheidende Orakel. Buchtipps: Mehr zum ThemaGerhard Roth, Aus Sicht des Gehirns, Suhrkamp-Verlag, 2009 Bas Kast, Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft: Die Kraft der Intuition, Fischer Taschenbuch Verlag, 2009 Gerhard Traufetter, Intuition: Die Weisheit der Gefühle, Rowohlt, 2009 Wie unzufrieden wir doch mit unserem Bauch sind. Einmal ist er uns zu untrainiert, dann wieder zu aufgebläht, zu schwabbelig, zu alles einfach. Mit kaum einem anderen Körperteil gehen wir so hart ins Gericht wie mit ihm und vergessen dabei, dass in unserem Bauch eigentlich unser zweites Gehirn wohnt. Hinter der ersehnten, straffen, muskulösen Bauchdecke al la Heidi Klum verbirgt sich ein ganzes Bündel an Emotionen, die der Vernunft und dem Verstand nur zu gerne ein Schnippchen schlagen. Rationale Entscheidungen, deren angebliche Vorteile wir von frühester Kindheit an eingetrichtert bekommen, finden in der inneren Stimme, dem Bauchgefühl, der Intuition ihren berechtigten Gegenpart, obwohl man diesen gerne als verdächtig einstuft. Intuitive Intelligenz Warum Bauchentscheidungen so oft kein Vertrauen geschenkt wird, lässt sich auch in folgenden Zeilen nicht erklären. Stattdessen erfahren Sie, dass Intuition eine unterschätzte Form der unbewussten Intelligenz ist, die für die wahren Entscheidungsfindungen in Ihrem Leben essentiell ist. „Wir unterschätzen die Macht der Intuition für Entscheidungen“, gibt Gerhard Roth, einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands und Professor der Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen, gleich vorweg zu Bedenken. Bauchentscheidungen begleiten uns tagaus, tagein, und finden überwiegend unbewusst statt. Unsere Erfahrungen spielen dabei eine große Rolle, wie Roth bestätigt: „Wir nehmen gewöhnlich an, dass wir umso besser handeln können, je gründlicher wir vorher nachgedacht haben. Allerdings ist ein guter Denker keineswegs zwangsläufig ein guter Handelnder.“ Beide Begriffe, „rational“ und „irrational“ seien zunächst individuen- und kontextabhängig. Jeder Mensch versucht, in seiner eigenen Welt individuelle Affekte, Emotionen und in der Folge Handlungen auszuleben. Diese Handlungen erfolgen laut Roth nicht aus logischen Überlegungen heraus, sondern aufgrund von unbewussten und bewussten Motiven, die meist weit in unsere Kindheit zurück reichen.
Es scheint daher kein Zufall zu sein, dass uns Dinge wie aus heiterem Himmel einfallen. Roth hat als Hirnforscher dafür natürlich eine neurobiologisch plausible Erklärung parat: „Die Informationsverarbeitung in unserem Gehirn besteht nicht nur aus der Ebene des Bewusstseins und der Ebene des Unbewussten, sondern auch aus dem Vorbewussten.“ Zum Vorbewussten gehöre alles, was uns aktuell nicht bewusst ist, aber einmal bewusst war, ins Nichtbewusste abgesunken ist und unter bestimmten Umständen bewusst gemacht werden kann. Die Kapazität des Vorbewussten sei gegenüber dem, was wir bewusst verarbeiten können, schier unbegrenzt. Ein ganzes Universum an angesammelten Erfahrungen und Emotionen also, das in uns schlummert. Roth schätzt, dass dem Menschen nur 0,1 Prozent der momentanen Gehirnleistung bewusst ist. Den Rest würde das Gehirn unbewusst verarbeiten und wir wären sozusagen die Letzten, die davon erfahren, was das Gehirn gerade mit uns vorhat. Fürs Protokoll: Sie lesen gerade. Im Bauch liegt die schnelle Wahrheit Während Gerhard Roth zwischen Intuition und Bauchentscheidung differenziert, weil es sich bei Ersterem seiner Ansicht nach „um eine Art Einsicht, die nicht auf dem schrittweise gedanklich-sprachlichen Abhandeln von Argumenten beruht, sondern auf einer Ahnung, die nicht genau artikulierbar ist“ handle, vereinen seine Kollegen wie der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung die beiden Begriffe unter dem Schirm des mächtigen Unterbewussten. Doch was hat unser Bauch mit dem Ganzen zu tun? „Bauchentscheidungen sind ähnlich unseren automatisierten Entscheidungen, bei denen es um schnelle Entscheidungen, Stress und Gefahr geht und wir nicht lange darüber nachdenken wollen oder können“, weiß Roth. Dass es sich dabei gleichzeitig auch um höchst emotionale Situationen handle, liegt auf der Hand. Doch das wirft weitere Fragen auf: Steuern nun ernsthaft Gefühle unser Handeln? Ist die Intuition, der sechste Sinn, also dem Verstand überlegen? Und was haben Schmetterlinge im Bauch mit all dem zu tun? Fühlen, wissen, ahnen Dass das Unterbewusste einem Schwamm gleicht, der ohne Unterbrechung Sinneneindrücke und Informationen aus der Umwelt in sich aufsaugt, wissen wir bereits. Ebenso, dass der Vorteil einer Bauchentscheidung und intuitivem Urteil darin liegt, dass sich unser Unterbewusstsein im Vergleich zur Logik und Argumenten beladenen rationalen Entscheidungsfindung unglaublich schnell entscheiden und die richtigen Schlüsse ziehen kann. Doch die schwere Erklärbarkeit, mit der wir intuitiv Entscheidungen treffen, macht uns zu schaffen: Darf man überhaupt etwas nach Gefühl und aus dem Bauch heraus entscheiden? Ist es überhaupt erlaubt, Menschen nach dem ersten Eindruck zu beurteilen, oder sitzen wir dann bloß Vorurteilen auf? Esoteriker bekämpfen jene Zweifel, in dem sie mit übersinnlichen Fähigkeiten, die Ahnungen mit sich bringen würden, umher werfen und der Nutzung des sechsten Sinnes ungeahnte Möglichkeiten zuschreiben. Gut, ohne diese Binsenweisheiten würde das Esoterik-Geschäft wohl kaum funktionieren. Außerdem liegen die übersinnlichen Propagandisten gar nicht so falsch. Denn in sich zu gehen und darauf zu vertrauen, dass der eigene Bauch einen leiten kann, ist gar nicht verkehrt, wenn man diese emotionale Erkenntnis mit dem logischen Verständnis für eine Situation ergänzt. Schon der berühmte Automobil-Industrielle Henry Ford hat von der Intuition als unmittelbares, ganzheitliches Erkennen und Erfahren von Sachverhalten profitiert: „Ich betrachte meine Intuition als eines der wichtigsten Elemente in dem geistigen Prozess, der mich zu Einsichten und Entscheidungen führt.“ Bringt der Bauch Geld? Der sechste Sinn, den amerikanische Forscher am oberen Ende des Frontallappens lokalisiert wissen, hilft nicht nur dabei, dass Menschen ihr Verhalten einer riskanten Situation anpassen – ein gutes Beispiel dafür liefern Berichte von Forschern, wonach während der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean eingeborene instinktiv höher gelegene Gebiete aufsuchten, um Schutz zu finden. Unser Bauch ist der Klingelbeutel erfolgsorientierter Unternehmer, die darum kämpfen, zur verstehen, was unser Bauch wohl zu ihren Produkten sagen mag und ob er dabei hilft, dass jene Produkte den Weg ins Einkaufswagerl finden. Klingt schwer nach Manipulation. Ist es auch. Aber entgegen aller Behauptungen der Werbeindustrie sind wir gar nicht so manipulierbar. Denn klar ist, dass, was wir nicht wollen, werden wir nicht kaufen. Die mediale Umwelt beeinflusst uns zwar, aber sie kann keinen Kaufwunsch in uns auslösen, solange wir das nicht selbst zulassen. Wer denkt, dass sich mit dem Bauchgefühl ordentlich Kohle scheffeln lässt, der wird mit Bauchweh bestraft. Die von Roth beschriebene „Ahnung“, die hinter dem sechsten Sinn steckt, hat nichts damit zu tun, dass Vorraussagen an Börsenkursen oder in Wettbüros erfolgreich sind. Denn Intuition geht nicht mit einer richtigen Entscheidung in dem Sinn einher. Da wir unseren Autopiloten zwar spüren, aber weder steuern noch nachvollziehen können, ist mit Falschentscheidungen durchaus zu rechnen. Was wiederum nicht als absolut negativ eingestuft werden muss. Denn wie wir wissen, ist jede Entscheidung, ob richtig oder falsch, auf lange Sicht eine richtige. Und außerdem grummelt der Bauch sowieso erst dann zufrieden, wenn man die Stimme der Vernunft und die des Gefühls im Duett singen lässt. Lalala. Autorin: Mag.a Tina Veit
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