Doch das Thema wurde vernachlässigt und deshalb gibt es bis heute kaum verlässliche Daten zu der Häufigkeit von Sexualstörungen bei Frauen. Derzeit beschäftigen sich beispielsweise die Australierinnen Dr. Rosie King (Sydney) und die Psychiaterin Prof. Lorrain Dennerstein (Melbourne) mit der komplexen Thematik.
Wie häufig sind Störungen der weiblichen Sexualität?
Aktuelle Zahlen über die Häufigkeit von Sexualstörungen bei Frauen zeigen unterschiedliche Ergebnisse. Es wird davon ausgegangen, dass Frauen vielfach Hemmungen haben, sich wegen dieser Probleme um Hilfe zu bemühen. Aus den vorliegenden Untersuchungen ist allerdings zu erkennen, dass Störungen der weiblichen Sexualität viel häufiger vorkommen als bisher vermutet und dass eine hohe Dunkelziffer besteht. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen über die Fähigkeit verfügen, Sexualkontakte auch dann zu haben, wenn sie eine Orgasmus-Störung beklagen, zeitweilige oder länger anhaltende Lustlosigkeit vorherrscht oder auch eine Abneigung gegen sexuelle Kontakte besteht.
Gründe für Sexualstörungen bei Frauen
Bekannte schwere Störungen der Sexualität sind mitunter die Folge einer seelischen Traumatisierung z.B. Missbrauch als Kind oder Vergewaltigung. Jedoch auch ohne eine schwerwiegende Vorgeschichte ist bei Frauen die Voraussetzung zur Lust auf Sexualität von zahlreichen Einflüssen abhängig. Die sexuelle Erlebnisfähigkeit wird durch Stress und Müdigkeit, Angst und Unsicherheit, körperliche Erkrankungen und Missempfindungen sowie Probleme in der Partnerschaft und dem sozialen Umfeld beeinflusst. Die Grenze zwischen ”völlig normal” oder ”kein Grund zur Beunruhigung” bis hin zum Rückzug aus körperlichen Kontakten mit dem Partner verläuft fließend. Die weibliche Libido (Lust zu sexuellen Aktivitäten) ist ebenso wie die Orgasmusfähigkeit störanfällig, individuell ausgeprägt und von den verschiedenen Lebenssituationen (Schwangerschaft, Stillzeit, Wechseljahre) abhängig.
Die wichtigsten Sexualstörungen bei Frauen
- Störung des sexuellen Verlangens (mangelnde Libido).
- Störung der sexuellen Erregbarkeit (Unfähigkeit oder Schwierigkeit, eine sexuelle Erregung zu erreichen).
- Weibliche Orgasmusstörungen.
- Sexualschmerzen (Dyspareunie und Vaginismus).
Selbst im Laufe des Menstruationszyklus gibt es Unterschiede mit der Lust. Sie reichen von großem Verlangen bis hin zur sexuellen Ablehnung. In jüngster Zeit wurde die ”Pille” für Libido-Verluste verantwortlich gemacht. Dazu sagt Dr. Manfred Steiner, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte: ”Wenn überhaupt sind die Auswirkungen auf das sexuelle Verlangen so geringfügig, dass man sie bei der heutigen Zusammensetzung der Pillenprodukte vernachlässigen kann.”
Die Orgasmusfähigkeit der Frau ist eine Art ”Lernprozess”, bei dem sie ihren Körper und dessen Erregungsmöglichkeiten erfährt. Von einer Orgasmusstörung ist nicht auszugehen, wenn eine Frau Schwierigkeiten hat, einen ”vaginalen Orgasmus” zu erleben. Manche kommen sehr viel schneller bei anderen Techniken zum Höhepunkt (z.B. durch manuelle oder orale Befriedigung durch den Partner). Wichtig ist auch, dass ein Orgasmus nicht zwangsläufig etwas über die Qualität der sexuellen Beziehung aussagt. Ein befriedigendes Liebesleben ist durchaus auch ohne gemeinsamen Höhepunkt möglich. Übrigens: Körperliche Erkrankungen sind eher selten die Ursache einer Orgasmusstörung.
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sind ursächlich auf eine körperliche Erkrankung im Genitalbereich bzw. Unterbauch zurückzuführen (z.B. Entzündungen, Verwachsungen nach Operationen, Zysten am Eierstock etc.). Auch Missbildungen der Geschlechtsorgane oder eine Beschneidung können der Grund für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sein oder diesen sogar unmöglich machen.
Als Vaginismus wird die anhaltende unwillkürliche Anspannung der Muskulatur im unteren Bereich der Scheide bezeichnet. Hierdurch ist das Eindringen des Penis, selbst eines Fingers oder Instruments bei einer ärztlichen Untersuchung oder auch eines Tampons kaum möglich.
Wer ist Ansprechpartner bei Sexualstörungen?
In der Regel sind die Frauenärztin/ der Frauenarzt die ersten Ansprechpartner, um mit entsprechenden Untersuchungen abzuklären, ob eine körperliche Erkrankung als Ursache der gestörten Sexualität vorliegt oder ob die hormonelle Situation (z.B. in den Wechseljahren) dafür verantwortlich ist. Erst nachdem körperliche Ursachen ausgeschlossen werden können, bietet sich ein Arzt oder Psychologe mit Erfahrungen in der Sexualtherapie bzw. Sexualmedizin zur weiteren Behandlung an. Ebenso kann in Abhängigkeit von der Ursache der sexuellen Störung eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie in Frage kommen. Eine Hormontherapie ist sinnvoll, wenn der Arzt etwa ein Überwiegen der männlichen Geschlechtshormone festgestellt hat oder ein durch die Wechseljahre bedingter Östrogenmangel ausgeglichen werden sollte. In diesem Fall können Schmerzen beim Geschlechtsverkehr – hervorgerufen durch Veränderungen der Schleimhäute im Genitalbereich – behandelt werden. Eine Operation ist nur dann sinnvoll, wenn eine angeborene Missbildung der Geschlechtsorgane vorliegt oder durch vorhergehende OPs Veränderungen entstanden sind.
Kann Viagra weibliche Sexualstörungen mildern?
Es gibt zwar einige Fallstudien, die besagen, dass Viagra auch bei Frauen die sexuelle Erregungsfähigkeit positiv beeinflussen soll. Zur Zeit laufen kontrollierte Untersuchungen über die Wirkung bei Frauen. Ergebnisse liegen jedoch nicht vor. Es ist aber zu vermuten, dass bei den meisten weiblichen Sexualstörungen die Einnahme von Viagra oder anderen Präparaten keine Lösung verspricht.
Was zahlt die Krankenkasse?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat weibliche sexuelle Funktionsstörungen (FSD = Female Sexual Dysfunction) als Erkrankung anerkannt. Wird vom behandelnden Arzt eine Sexualstörung festgestellt, übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Gleiches gilt für eine Psychotherapie oder eine Sexualtherapie. Dafür ist jedoch ein entsprechender Antrag erforderlich, den die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut vor Beginn der Behandlung stellt.
Auch wenn es Überwindung kostet, Sexualprobleme anzusprechen, die Tabuisierung und Heimlichtuerei ist in jedem Fall belastender als ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Frauenarzt/ der Frauenärztin. Der Berufsverband der Frauenärzte weist darauf hin, dass Frauen mit einem befriedigendem Sexualleben auch in höherem Alter gesünder sind als andere.
Quelle: BVF