Das Tierorakel - kosmische Entscheidungshilfe
Das Tierorakel - kosmische Entscheidungshilfe
Kino oder Fernsehabend? Mailand oder Rom? Manchmal sind schon Fragen nach der Abendgestaltung und dem nächsten Urlaubsziel nicht leicht zu beantworten. Wenn es um Entscheidungen geht, die das ganze Lebenskonzept betreffen, sieht die Sache noch viel schwieriger aus. Münzenwerfen kommt hier nicht in Frage, schließlich sollen weder Fortuna noch der Zufall entscheiden, sondern wir selbst. Über Entscheidungsnachhilfe im Reich der aztekischen Tierorakel – ein Erfahrungsbericht.
Das Brett vorm Kopf. Alle Pros und Contras sind abgewogen, die Konsequenzen gut durchdacht – und trotzdem bildet sich im Kopf kein klares „Ja“ oder „Nein“. Die Gedanken kreisen immer nur um dieselben Dinge, aber eine richtige Selbstreflexion ist nicht mehr möglich, weil der Abstand zum Thema laufend geringer wird. Der gute Rat von Außen hilft ebenfalls nicht – ein klassischer Fall von „Brett vor dem Kopf“.

Gehen oder bleiben? Das beste Beispiel: meine Freundin P. Abgesehen davon, dass es ihr generell schwer fällt, sich festzulegen, steht sie jetzt vor einer Entscheidung, die ihr ganzes Leben betrifft: ihr Freund hat ein Jobangebot in Mexiko bekommen. Sie selbst ist zufrieden mit ihrer Karriere, mit dem Ortswechsel könnte sie sich jedoch ihren schon fast aufgegebenen Traum, als freie Übersetzerin zu arbeiten, erfüllen. Da Überlegen uns nicht weiterbringt, stoßen wir auf der Suche nach einer Entscheidungshilfe auf das aztekische Tier-Orakel – immerhin stimmt die Richtung.

Von Schattenseelen und Weissagungen. Das Volk der Azteken oder Mexica, die vom 14 bis etwa zum 16. Jahrhundert den mesoamerikanischen Raum bewohnten, pflegte ein besonderes Verhältnis zu den Tieren, die sie als heilige Wesen ansahen. Jedem Azteken wurde z. B. am vierten Tag nach der Geburt ein Nahualli, ein tierischer Doppelgänger bzw. eine Schattenseele, zugewiesen. Dieser spirituelle Pakt war die Verbindung zu den Göttern und gleichzeitig ein Schutzabkommen zwischen Tier und Mensch. Außerdem wurden im Auftauchen bestimmter Tiere Zeichen gesehen, die als Weissagungen ausgelegt wurden.

Spirituelle Kräfte wecken. Die Orakel-Zeremonie ist nicht eindeutig überliefert, aber P. und ich geben unser Bestes. P. mischt die künstlerisch gestalteten Karten, auf denen hauptsächlich Tiere und einige aztekische Götter abgebildet sind, und denkt dabei an ihre Frage: Soll ich bleiben oder gehen? Darüber, dass man in den Karten keine absolute Wahrheit oder eine strikte Anweisung vom Schicksal sehen darf, sind wir uns beide natürlich im Klaren, aber vielleicht bringen sie P. auf einen Gedanken, den sie vorher nicht beachtet hat. Ich warte gespannt, während sie mit geschlossenen Augen die „richtige“ unter den ausgebreiteten Karten aufspürt.

Der rauchende Spiegel. Orakel-Karten gibt es in unterschiedlichster Gestaltung. Das aztekische Tier-Orakel ist eines davon. Bei allen ist jedoch die richtige Fragestellung das Wichtigste, denn unklar formulierte Fragen führen zu aussageschwachen Antworten. Eindeutig sind diese allerdings nie – es kommt immer auf die Interpretation an. Für ungeübte Orakel-Leger ist es leichter, mit den einfachen Legemustern anzufangen. P. hat sich für den rauchenden Spiegel entschieden, wo die Karten in Form eines Fächers aufgelegt werden. Und sie zieht…

… den Falken. Der Falke steht im aztekischen Tierreich für die Botschaft und Verständigung und spielt in der Götterwelt eine wichtige Rolle als Kurier. Durch die Anpassungsfähigkeit zählen sie zu den erfolgreichsten Jägern. Taucht der Falke in den Karten auf, ist er meist schon länger da, wird aber übersehen. Er zeigt an, dass die dringende Mitteilung, die er schon seit einiger Zeit zu tätigen versucht, jetzt deutlich wird. Seine Nachrichten sind nicht immer positiv – für P. allerdings schon. Sie hatte ihre Entscheidung schon längst getroffen und grinst mich an: Nichts wie weg…


Autorin: Mag.a Anne Wiedlack
Photo: Nietsch Verlag
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