„Effizientes Zeitmanagement“
Mit unserer Lebenszeit lässt sich vieles anstellen. Wir können sie dazu nutzen, ausgesprochen produktiv zu sein und die finanziellen Lorbeeren unserer Produktivität zu ernten, wir können sie verstreichen lassen, ohne Nennenswertes zu leisten, wir können uns die Zeit vertreiben, sie vergeuden und tot zu schlagen versuchen, nur zum Stillstehen bringen wir sie nicht. Letzteres vermögen auch Pausen nicht, doch Pausen und Zeitvertreib sind ohnehin nicht mehr besonders gesellschaftsfähig, glaubt der deutsche Zeitforscher Karlheinz Geißler. Ein Blick in den Alltag gibt ihm Recht. Als Leitmotiv hat sich ein effizientes Zeitmanagement durchgesetzt, das jede Lücke im Arbeits- und Tagesablauf vermeiden will, jedes sich öffnende „Zeitloch“ sofort mit einer neuen Aufgabe füllt. Die Mühlen laufen nonstop und wer nicht unter ihre Räder geraten will, muss sich selbst pausenlos am Laufenden halten. Auch Freizeitmanagement ist gefragt: Geduld und Spontaneität werden allmählich zu Auslaufmodellen menschlichen Verhaltens.
„Schnell und langsam“: Ein unzertrennliches Paar
Karlheinz Geißler gehört zu den wenigen Menschen unseres Zeitalters, die dessen selbstverständliche Rastlosigkeit und das ökonomische Primat des effizienten Zeitmanagements hinterfragen. Geißler hält unproduktive Zeiten für einen Gewinn, nicht für einen materiellen zunächst, jedoch für einen, der direkt auf das Konto unseres Wohlbefindens geht. Anders als wirtschaftliche Prinzipien fordern, ist der Mensch nämlich keineswegs für ununterbrochenes Tätigsein geschaffen. Sein Leben folgt einem Rhythmus aus Passivität und Aktivität: Langsamkeit bzw. Nichtstun haben darin ebenso Platz wie Schnelligkeit und Produktivität.
Die Pause, die Langsamkeit, die Wiederholung oder das Warten: All diese zutiefst menschlichen Phänomene werden laut Geißler immer weiter zurückgedrängt. Sie sind sozial nicht mehr erwünscht, gelten als unwiederbringlicher „Zeitverlust“. Von welcher Bedeutung und tatsächlichem Nutzen sie eigentlich für uns sind, stellt Geißler in den einzelnen Kapiteln seines Buches anschaulich dar und wendet sich damit vor allem gegen eine Beschleunigung der Dinge, die nur um ihrer selbst willen geschieht. Letztlich geht es ihm also nicht um eine rigide Verurteilung der Schnelligkeit und Geschäftigkeit, die allerorts herrscht, allerdings darum, ihr das notwendige Gegengewicht zu verleihen. Die Krise der Finanzmärkte ist für den Autor nur eines der sichtbarsten Zeichen dafür, dass dieses Gegengewicht fehlt.
Doch uns allen fehlt es an Langsamkeit. Das Spektrum von Geschwindigkeitsstufen zwischen den Polen „langsam“ und „schnell“ scheint uns verloren zu gehen. Mozart, so erfährt man in diesem Buch, arbeitete einst mit 23 verschiedenen Tempi. Vielleicht finden wir seine Musik auch darum immer noch so schön.
Pausen als Gewinn
Pausen werden laut Geißler heute mehr und mehr als „Störung“, als eine „ansteckende Krankheit“ wahrgenommen. Für den Zeitforscher – und wohl nicht nur für ihn – sind Pausen Zwischenzeiten, die es in sich haben: Sie unterbrechen unser Handeln und geben uns die Zeit, über dieses nachzudenken, es mit Distanz zu betrachten. Nur auf diese Weise können wir kritische Gedanken fassen, erkennen, dass wir möglicherweise falsch oder für den Zweck unangemessen handeln und unserem Handeln in der Folge eine neue Richtung geben. Pausen bieten uns aber auch Zeit für Kreativität, die Möglichkeit, das bisherige Handeln aufzugeben und etwas völlig Neues anzufangen. Pausen sind demnach weder sinnlose Zeitfüller noch vertane Zeit, sondern bringen persönlichen und auch unternehmerischen Gewinn. Nicht zufällig hieß es einst unter Kaufleuten, man könne kein Geschäft ohne die Zeit machen.
Sattelfest durch Wiederholungen
Für Wiederholungen gilt nach Geißler Ähnliches. Indem wir bestimmte Vorgehensweisen wiederholen, erlangen wir Sicherheit: Sicherheit bezüglich unserer eigenen Fähigkeiten im Umgang mit unserer Umgebung. Psychologisch gesehen, sind wir darauf angewiesen, die Vorgänge um uns herum als relativ stabil und vorhersehbar zu betrachten. Wären Wiederholungen in unserem Dasein nicht inbegriffen, fehlte uns jegliche Orientierung. Auch Wiederholungen sind darum keine Zeitvergeudung, sie schaffen, im Gegenteil, Stabilität und erleichtern uns die Arbeit, bringen aus der Vergangenheit Bekanntes in unser Bewusstsein zurück und verankern es dort. Im Bereich der Bildung sind Wiederholungen geradezu ein Muss. Geißler hält Wiederholungen aber auch hier für bedroht. Das Bildungssystem sieht immer kürzere Bildungszeiten vor, Wissen soll also in immer schnellerer und komprimierterer Form in die Köpfe der Menschen gelangen: Eine Methode, die sowohl dem Wesen des Menschen widerspricht als auch wenig nachhaltig ist.
Fazit:
Was Karlheinz Geißler in seinem Buch unternimmt, kann als intelligenter, großzügiger Streich gegen die geizigen Zeitsparer dieser Gesellschaft verstanden werden. Trotzdem gibt es hier keine Ausschweife, erscheint kein Wort zu viel. Der Autor arbeitet mit treffenden Metaphern und Vergleichen, bringt Alltagsbeispiele, historisches und neues Wissen zusammen und zitiert heiter aus der klassischen Weltliteratur. Die Lektüre des kleinen, dünnen Büchleins gestaltet sich darum als angenehmes, kurzweiliges und anregendes Vergnügen, als wahrer Nachdenk-Genuss inmitten (zu) hektischer Zeiten.
Karlheinz A. Geißler:
Lob der Pause - Warum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind
Oekom Verlag 2010, Taschenbuchformat, 112 Seiten
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Autorin: Mag.a Angelika Stallhofer