Ein mittelalterliches Fest - alte Rezepte neu entdeckt
Ein mittelalterliches Fest - alte Rezepte neu entdeckt
Auch wenn wir uns das Mittelalter nicht zurück wünschen, ist das gemeinsame Nachkochen mittelalterlicher Speisen einen Versuch wert. Experimente mit historischen Gewürzen und bunt gefärbten Speisen unter dem gänzlichen Verzicht auf Fertigwürzprodukte, lassen vertraute Lebensmittel im neuen Licht erscheinen und garantieren angeregte Tischgespräche.
 
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Auch ohne die "Köpfe kleiner Ziegen" oder die "Burg voller Kaninchen, die zur Belustigung der Gäste heraushüpfen" (anlässlich eines Banketts von Giovanni II. Bentivoglio 1487) eröffnet ein mittelalterliches Mahl ungewohnte Erlebnisse für den Gaumen.
Gebratene Tauben, Schweinslebern, Drosseln, Rebhühner, eine Burg aus Zucker mit Zinnen und Türmen voller herausflatternder, lebender Vögel... so oder ähnlich sind die prunkvollen Feste aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter überliefert. Während sich die zentraleuropäische Landbevölkerung der Nahrungsaufnahme zwecks Überleben widmete, wurden an den Höfen der adeligen Gesellschaft kulinarische Feste und Bankette gefeiert, bei denen die Gastgeber im oft tagelangen, verschwenderischen Auftischen von Speis und Trank ihre Macht und ihren persönlichen sozialen Status demonstrierten.

Gewürze und Farben des Orients

Die mittelalterliche Küche des mitteleuropäischen Adels zeichnet sich vor allem durch ihren hohen Fleischkonsum aus. Die meisten Weideflächen durften von den Bauern nicht genutzt werden und blieben Hof und Klerus vorbehalten. Im Mittelalter gab es keine Kartoffeln, keinen Reis, keine Tomaten und vor allem keine Fertigwürzmittel, Glutamate und Co. Gewürzt wurde mit Kostbarkeiten aus fernen Ländern wie Pfeffer, Paradieskörner, Zimt, Nelken, Kardamom, Muskatnuss und Muskatblüte, Ingwer, Galgant oder Safran. Gefärbt wurden die Speisen mit Petersilie, Safran, Sandelholz, Rosen- oder Veilchenblüten. Die Gäste tranken mit Wasser verdünnten Wein. Das Mahl wurde mit "Hippocras" beschlossen - einem Würzwein, der als besonders gesund und verdauungsfördernd galt.

Strenge Tischsitten

Die höfischen Feste des Mittelalters folgten streng geregelten Abläufen, die meist von den französischen Tischsitten geprägt waren. Ein großes Fest begann im Laufe des Vormittags und bestand aus drei Gängen, von denen sich jeder aus zahlreichen Einzelgerichten zusammensetzte. Die Festtafel war meist mobil und stand mit Tischtüchern aus weißem Leinen geschmückt, erhöht auf einem Podium oder unter einem Baldachin. Als Tischdekorationen dienten kunstvolle Pasteten. Jeder Gast hatte, seinem sozialen Status gemäß, einen vorgegebenen Sitzplatz. Oft war auch festgelegt, in welcher Reihenfolge die Gäste die vorhandenen Speisen verzehren mussten. Ein höfisches Festmahl wurde in der Regel von einem Aufseher betreut, der für die Einhaltung der Zeremonien zuständig war. Die Verletzung von Anstandsregeln konnte zu einer Verbannung vom Tisch führen.

"Der riuspet, swenn er ezzen sol,
und in daz tischlach sniuzet sich,
diu beide ziment niht gar wol,
als ich des kan versehen mich."

(Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation. Bd. 1, Berlin 1969)

Ein Brotteller für die Armen

Wertvolle Gedecke mit Messer, Gabel, Löffel, Teller, Schüssel und Humpen waren bei den Festessen des westeuropäischen Adels die Ausnahme und setzten sich eher im Spätmittelalter durch. Als Teller dienten üblicherweise Brotfladen, die nach jedem Gang an die Armen verteilt wurden. Die Gäste brachten ihre eigenen Messer mit. Löffel waren aus Horn oder Holz gefertigt, Gabeln aufgrund ihrer "satanischen" Dreizackform verpönt, weshalb vieles mit den Fingern gegessen wurde. Vor dem Mahl, zwischen den Gängen und am Ende des Mahles gingen Pagen mit Waschschüsseln und Handtüchern von Gast zu Gast.

"Ein Fest für den König"

Eine Gelegenheit, original aus dem Mittelalter überlieferte Rezepte selbst nachzukochen, bietet die Universitätsdozentin für Montan- und Industriearchäologie Brigitte Cech im Rahmen ihrer Kochkurse an der VHS-Wien. Cech kocht seit vielen Jahren nach historischen Rezepten und setzte anfangs ihre Freundinnen als "Versuchskaninchen" ein. Ihr Interesse gilt vor allem der Erforschung von Essen und Trinken als Alltagskultur: "Das Kochen nach historischen Rezepten gibt Einblick in diesen Aspekt des Lebens - im Rahmen meiner Kurse natürlich nur in das der gehobenen Gesellschaft." So wird etwa gemeinsam "Ein Fest für den König" ausgerichtet - nach den Originalrezepten Richard II. von England. 1377 im Alter von zehn Jahren zum König gekrönt, beschäftigte er in der Küche seines Hofes insgesamt 300 Köche und Hilfskräfte. Auf seinen persönlichen Wunsch wurde um 1390 das Kochbuch "The Form of Cury" verfasst, mit 205 Rezepten eines der ältesten überlieferten Kochbücher. Brigitte Cech fungiert als Übersetzerin: "Was mir daran Spaß macht, ist die Kreativität, die notwendig ist, um diese Rezepte für die moderne Küche zu adaptieren. - Wobei ich mich bemühe, möglichst nahe am Original zu bleiben."

 

 
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